In der aktuellen Krise ist es sinnvoller denn je, auf Fortbildung zu setzen und es war für viele wahrscheinlich noch nie so unkompliziert möglich, wie im Moment. Wer schon lange mit dem Gedanken spielt, endlich vom Schreibtischjob wegzukommen und stattdessen mit den Händen arbeiten möchte, der kann im Rahmen einer Bildungskarenz auch ganz neue Dinge ausprobieren und sich zum Beispiel zur/m MasseurIn ausbilden lassen. Das Modell der Bildungskarenz gibt es in Österreich schon über 20 Jahre. Wir erklären, warum ArbeitnehmerInnen gerade jetzt besonders gute Chancen haben, sich Freiräume für neue berufliche Wege zu schaffen.
Das Modell Bildungskarenz fördert seit 1998 mit öffentlichen Mitteln berufliche Weiterbildung in Österreich. ArbeitnehmerInnen können Abschlüsse nachholen, sich im Digitalen weiterbilden, Sprachkurse im Ausland belegen oder Fortbildungen im Gesundheitsbereich absolvieren, wie zum Beispiel eine Ausbildung in der Manuellen Massage oder eine Ausbildung zum/r Shiatsu-ExpertIn. Die Sinnhaftigkeit der Fortbildung für den Arbeitsmarkt wird vom AMS nicht geprüft. Objektive Kriterien dafür, was für individuelle berufliche Laufbahnen sinnvoll ist, sind schließlich nicht so einfach festzulegen.
Alles hängt vom Gutwillen der ChefInnen ab
Ob eine Bildungskarenz bewilligt wird, darüber entscheiden nicht das AMS oder eine andere Behörde, sondern letztendlich die jeweiligen ArbeitgeberInnen. Einen Anspruch darauf kann man rechtlich nicht geltend machen. Wenn die Verantwortlichen eine Weiterbildung nicht für notwendig halten oder sich nicht die Mühe machen möchten, eine Ersatzarbeitskraft für den Zeitraum zu suchen, können sie mit einem schlichten ‘Nein‘alle Pläne durchkreuzen. Denn gesetzlich sind die ArbeitgeberInnen weder zur Zustimmung verpflichtet, noch dazu, den Arbeitsplatz in dem gewünschten Zeitraum frei zu halten.
Insbesondere Beschäftigte aus Branchen mit hohem Fachkräftemangel hatten und haben es da häufig sehr schwer. Das betrifft unter anderem Angestellte in der Pflege, in der IT oder im Handwerk. Die Arbeiterkammer Wien fordert deshalb schon lange einen allgemeingültigen Rechtsanspruch auf eine Bildungskarenz. „Jeder soll selbst entscheiden können, ob er oder sie eine Aus- oder Weiterbildung machen möchte und dabei nicht abhängig vom Gutwillen der jeweiligen ArbeitgeberInnen sein“, erklärt Michael Tölle von der Arbeiterkammer Wien.
Noch ist dieser Rechtsanspruch eine reine Forderung. Wer sich eine Auszeit vom Job nehmen möchte, um sich weiter zu qualifizieren oder eben auch eine ganz neue Branche kennenzulernen, der steht also zunächst vor der Aufgabe, den eigenen Chef oder die eigene Chefin von den Plänen zu überzeugen.
Machen Sie sich die angespannte Wirtschaftslage zunutze
Es gibt sicher Unternehmen, die vor einigen Monaten einen Antrag auf Bildungskarenz mit der Begründung, einen Massage-Kurs absolvieren zu wollen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt hätten, heute aber ganz anders damit umgehen. Insbesondere Betrieben, die aufgrund der Gesundheits-Krise derzeit wirtschaftlich nicht gut dar stehen, kommt das Modell der Bildungskarenz derzeit entgegen, da sie so Kosten sparen können. „Denn so haben sie die Chance, qualifiziertes Personal im Dienstverhältnis zu halten, ohne dafür zu bezahlen. Dadurch erhalten sie einen Zeitgewinn und können gegebenenfalls leichter bis zu einer Phase überbrücken, in der es wieder aufwärts geht,“ sagt Tölle.
Nach dieser Logik empfiehlt sich der Schritt auch ganz besonders für ArbeitnehmerInnen, die befürchten, dass ihr Unternehmen in den nächsten Monaten Arbeitsplätze weg rationalisieren muss oder gar von einer totalen Pleite bedroht sein könnte. Während der Bildungskarenz genießt man zwar keinen besonderen Kündigungsschutz, aber man ist nach den Bildungsmaßnahmen – welcher Art auch immer – definitiv mobiler und besser gewappnet, um auf einem angespannten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, möglicherweise in einer ganz anderen, weniger krisengebeutelten Branche.
Im Jahr 2019 zahlte das AMS insgesamt 140 Millionen Euro an Weiterbildungsgeldern aus. 10.624 Menschen profitierten davon im Rahmen einer Bildungskarenz, gut 700 Personen mehr als im Vorjahr. Die Zahlen aus dem ersten Quartal diesen Jahres zeigen, dass das Interesse an beruflicher Fortbildung in Österreich weiter gestiegen ist. Bis März 2020 erhielten im Schnitt 12.829 Menschen ein Weiterbildungsgeld vom AMS.
Wie die Corona-Krise zu mehr Flexibilität führt
Auch an der Massage-Schule Manuelle & Shiatsu Ausbildung Hilpert fällt auf, dass der Anteil von Bildungskarenzen unter den KursteilnehmerInnen gestiegen ist. „Ich kann das Modell nur empfehlen, da die Auflagen für eine Förderung sehr gering sind“, erklärt Inhaber Stephan Hilpert. Auch die Voraussetzung, dass mindestens 20 Wochenstunden in Weiterbildungsmaßnahmen investiert werden müssen, seien mit seinem Konzept vereinbar. „Unsere Ausbildung finden in Modulen statt. Das erlaubt sehr viel Flexibilität in Bezug auf Dauer und Taktung. Außerdem können wir individuell festlegen, wie viel Zeit vor Ort und wie viel Zeit im Homeoffice erbracht wird. Das wird ja gerade in der Corona-Zeit auch von behördlicher Seite sehr locker gehandhabt“, erklärt Hilpert weiter. Es bestünde auch die Möglichkeit, mehrere Ausbildungen parallel zu absolvieren, um auf die notwendigen Stunden zu kommen.
Chancen ergreifen und die berufliche Zukunft selbst in die Hand nehmen
Das Spektrum der TeilnehmerInnen der Kurse sei breit, sagt Hilpert. Er habe SchülerInnen im Alter von 20 bis fast 70. Die Motivationen, auf Massage umzuschulen, seien ebenfalls sehr unterschiedlich. Zum einen würde er natürlich Menschen unterrichten, die bereits im Gesundheitswesen tätig sind und ihr Repertoire an Fähigkeiten erweitern möchten, um zum Beispiel in einer Arztpraxis zusätzlich Massagen anzubieten. „Ich habe hier aber auch Leute aus ganz anderen Bereichen, die es leid sind den ganzen Tag am Computer zu sitzen und lieber etwas mit den Händen machen möchten,“ erzählt Hilpert. Er glaubt, dass eine berufliche Neuorientierung in vielen dieser Fälle nur durch ein Programm wie die Bildungskarenz möglich sei, besonders in Corona-Zeiten, wo viele ArbeitgeberInnen den Bezug der Weiterbildung zum eigentlichen Job nicht so eng sehen, wie sonst.
Während einige TeilnehmerInnen lediglich an den Kursen teilnehmen, um Massage und Shiatsu im privaten anzuwenden, gibt es wiederum Menschen, die den Plan verfolgen, sich irgendwann mit einer eigenen Praxis selbstständig zu mache. Hilpert betont, dass es ihm sehr wichtig sei, den Leuten selbst zu überlassen, in welche Richtung sie sich spezialisieren möchten: „Das ist ein bisschen wie beim Sport. Zuerst lernt man die Basics und dann kann man entscheiden, ob man Stürmer oder Torwart werden möchte.“
Zeitlicher Rahmen und finanzielle Unterstützung
Eine Bildungs-Auszeit kann man alle vier Jahre beantragen. Sie dauert mindestens zwei und maximal zwölf Monate. Ist die Bildungskarenz einmal bewilligt, kann sie auch auf einzelne Blöcke auf einen Zeitraum von vier Jahren verteilt werden.
Während der Bildungskarenz wird einem der Arbeitsplatz freigehalten, auf Gehalt und Bonuszahlungen muss man in der Zeit dann allerdings verzichten. Dafür ist man über das AMS Kranken-, Pflege- und Unfallversichert und erhält auch ein Weiterbildungsgeld von der Behörde, das in etwa der Höhe des Arbeitslosgengeldes entspricht, welches einem bei einem Jobverlust zustehen würde. Voraussetzung für das Weiterbildungsgeld, und alle anderen Vorteile, besteht darin, dass der oder die Beschäftigte mindestens ein halbes Jahr am Stück arbeitslosenversicherungspflichtig beim Unternehmen beschäftigt gewesen ist.
Zusätzlich darf einer geringfügigen Beschäftigung auf 450-Euro-Basis nachgegangen werden. Die Kosten für die jeweilige Weiterbildungsmaßnahmen tragen die TeilnehmerInnen selbst. Es gibt jedoch Wege und Mittel, zusätzliche Förderungen zu beantragen. Die Arbeiterkammer Wien empfiehlt zum Beispiel den Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfond (waff). Dort besteht die Möglichkeit, bis zu 5000 Euro erstattet zu bekommen.